Das Ding mit der Epilepsie
Eine Sache, die JEDER Welpeninteressent und/oder -käufer wissen muss…es gibt leider eine gewisse Prävalenz für das Auftreten von Epilepsie bei unseren Großen Schweizer Sennenhunden. Züchterisch versuchen wir, möglichst wirksame Gegenmaßnahmen zu treffen, hauptsächlich über Nachzuchtkontrollen. Das Problem besteht jedoch einerseits darin, dass der Erbgang für die Weitergabe von Epilepsiemarkern wissenschaftlich noch nicht geklärt ist. Andererseits können Hunde diese Genmarker in sich tragen, jedoch völlig symptomlos bzw. nicht erkrankt sein. Da ich von der Ausbildung her Wissenschaftlerin bin (auch wenn die intensive Phase zugegebenermaßen schon länger her ist) habe ich in der nachstehendem Zusammenfassung versucht, ein paar allgemeine, aktuelle Fakten zusammenzutragen. Sofern es den großen Durchbruch in der Forschung geben würde, werde ich das Ganze natürlich aktualisieren. Zudem klären wir unsere Welpenkäufer selbstverständlichauch noch einmal intensiv im Einzelgespräch auf. Wir als Züchter sowie jeder Besitzer eines Großen Schweizer Sennenhundes muss sich der Anzeichen einer Epilepsie bewusst sein, um bei Krampfanfällen oder anderen neurologischen Symptomen richtig reagieren zu können. Selbstverständlich gehört die Konsultation eines Tierarztes (idealerweise Fachtierarztes) IMMER dazu.
Warum schreibe ich diesen Artikel?
Als Neuzüchter wird man natürlich über „das Ding mit der Epilepsie“ geschult und man holt sich selbst noch alle Infos, die man bekommen kann. Hochmotiviert geht man dann die erste Paarungplanung unter Konsultation von erfahrenen Züchtern und/oder Zuchtwarten an. Man findet einen tollen Rüden, der perfekt zur Hündin passt z.B. mit einer Auftrittswahrscheinlichkeit für eine Epi von 1-2 Welpen/1000-> das ist ein super Wert und wie wahrscheinlich ist das denn bitte, wenn man bedenkt, dass eine Hündin vielleicht auf 20 Welpen in ihrem Zuchtleben kommt?), der Rüdenbesitzer hat sogar Interesse an der Verpaarung, der Deckakt kommt zustande und ca. 63 Tage später purzeln 6 herzallerliebste kleine Große Schweizer in die Welt. Allen geht es gut, alle nehmen zu und die neuen Familien freuen sich auf den Familienzuwachs. 1 Jahr vergeht, 2 Jahre vergehen, alle sind happy mit ihren Hunden. 3 Jahre vergehen und als Züchter denk man sich, es sieht alles gut aus, z.B. Gelenke der Welpen super, ein Nachkomme besucht fleißig Ausstellungen mit besten Bewertungen. Wir als Züchter machen eine zweite Verpaarung mit der Mama und wieder sind 9 kleine Große Schweizer auf der Welt, denen geht es ebenfalls gut und alle haben ihre neuen Familien gefunden. Plötzlich kommt die Info über einen Hund aus dem ersten Wurf, der einen Krampfanfall hatte. Damit rechnet man einfach nicht, entsprechend groß ist der Schock bei allen Beteiligten. Erstmal natürlich die Familie unterstützen so gut es geht. Leider sind unser Mittel hier begrenzt, aber wir versuchen, was wir können z.B. Vermittlung von Fachtierärzten oder Ernährungsberatung usw. und natürlich dem Verband melden, damit alles in die Zuchtwerte eingehen kann. Dann alle anderen Familien aus dem Wurf informieren und dabei meldet noch jemand einen zweiten Hund mit Krampfanfällen. Das ist für einen Züchter ein noch unerwarteter Schock, sahen die Werte der Paarungsplanung doch so gut aus. Ich gebe zu als Züchter hat man auch immer ein wenig Angst, wenn das Telefon klingelt und eine Welpenfamilie dran ist. Wir freuen uns natürlich immer über neue Infos und stehen auch mit allen in Kontakt, aber etwas Angst vor schlechten Nachrichten hat mal leider auch. Aber ich will gar nicht vermitteln, dass wir als Züchter die Hauptleidtragenden sind. Es ist natürlich eine furchtbare Nachricht aufgrund derer man sich intensiv Gedanken macht, ob wir unsere Zucht überhaupt weiterführen wollen. ABER das größte Problem mit der Erkrankung hat natürlich in erster Linie der betroffene Hund und seine Familie, daher ist es umso wichtiger, das JEDER Interessent weiß, dass eine Epilepsie trotz bester und gewissenhaftester Planung auftreten kann und ein Hund ggf. ein Leben lang Medikamente benötigt. Unsere Zuchtwerte lassen leider nur eine relative Risikominimierung zu und d.h. das Risko für eine Epilepsie besteht tatsächlich immer. Ich persönlich finde es maximal unseriös, wenn Züchter behaupten in ihren Linien gebe es keine Epilepsie, das ist meines Erachtens praktisch unmöglich. Soweit zum persönlichen Teil, jetzt zur wissenschaftlichen Zusammenfassung.
Vielen Dank für’s Lesen!
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die verschiedene Spezies betrifft, darunter Menschen und Hunde. Bei Hunden ist Epilepsie oft erblich bedingt (hereditär) und wird von Generation zu Generation weitergegeben(1). Das Risiko für einen Hund an Epilepsie zu erkranken, wird generell auf etwa 0,75 %(2) geschätzt. Bei einer erblichen Epilepsie kann die Wahrscheinlichkeit je nach Rasse jedoch stark variieren(3). Diese Zusammenfassung soll einen allgemeinen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft zur erblich bedingten Epilepsie bei Hunden, deren Diagnose sowie Behandlung und Krankheitsverlauf geben. Zusätzlich wird auf die wichtige Rolle der unvollständigen Penetranz bei der genetischen Vererbung der Epilepsie eingegangen.
Die hereditäre Epilepsie beim Hund ist ein Thema der laufenden Forschung. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Erkrankung polygen ist, was bedeutet, dass sie von mehreren Genen beeinflusst wird(4). D.h. es gibt keinen einfachen Erbgang, z.B. autosomal rezessiv o.ä. über den die Erkrankung erklärbar wäre. Einige Rassen sind aufgrund ihrer genetischen Veranlagung jedoch auffällig anfälliger für die Krankheit(5). Die genauen genetischen Marker und Mechanismen, die an der Entstehung und dem Fortschreiten der Krankheit beteiligt sind, werden jedoch noch untersucht(6).
Die Diagnose einer erblichen Epilepsie bei Hunden umfasst eine Kombination aus klinischer Anamnese, körperlicher Untersuchung und diagnostischen Tests(7). Tierärzte suchen in der Regel nach wiederkehrenden Anfällen, die im Alter zwischen sechs Monaten und sechs Jahren beginnen(8). Diagnostische Tests können Bluttests, Urinanalysen und bildgebende Untersuchungen wie MRT- oder CT-Scans umfassen(9). Die endgültige Diagnose beruht jedoch häufig auf dem Ausschluss anderer Erkrankungen, die ähnliche Symptome verursachen(10). Diese können sehr vielfältig sein und von gestörtem Salz-Wasser-Haushalt über Vergiftungen oder Infektionskrankheiten wie Neuroborreliose bis hin zu Tumorerkrankungen reichen. Daher kann die Diagnosestellung oft schwierig und entsprechend kostenintensiv und langwierig sein.
Die Behandlung der erblichen Epilepsie bei Hunden zielt in erster Linie darauf ab, Anfälle zu bewältigen und die Lebensqualität des Hundes zu verbessern(11). Antiepileptika (AEDs) sind dabei die Hauptstütze der Behandlung(12), wobei die Wahl des Medikaments und der Dosierung von der Schwere und Häufigkeit der Anfälle, dem allgemeinen Gesundheitszustand des Hundes sowie dem Vorhandensein anderer Erkrankungen abhängt(13).
Der Krankheitsverlauf kann bei verschiedenen Hunden durchaus sehr individuell sein. Bei einigen kann es zu seltenen Anfällen kommen, die sich nur geringfügig auf ihre allgemeine Gesundheit auswirken, während andere häufige, schwere Anfälle haben, die eine intensive Behandlung erfordern(14). Regelmäßige tierärztliche Untersuchungen sind von entscheidender Bedeutung, um das Fortschreiten der Krankheit zu überwachen und die Behandlung bei Bedarf anzupassen(15).
Bestimmte Rassen sind anfälliger für erbliche Epilepsie, darunter Beagle, Belgischer Tervuren, Keeshond, Labrador Retriever und Golden Retriever(16). Diese Rassen haben im Vergleich zu Mischlingen eine höhere Inzidenz von Epilepsie, was wahrscheinlich auf die Konzentration von Epilepsie-assoziierten Genen in reinrassigen Populationen zurückzuführen ist(17).
Entgegen der oft allgemeinen Annahme können auch Mischlingshunde eine Epilepsie entwickeln. Bedingt durch das Phänomen der "hybriden Vitalität" weisen Mischlingshunde jedoch in der Regel eine größere genetische Vielfalt auf, was möglicherweise das Risiko der Vererbung von Epilepsie-assoziierten Genen verringert(18).
In der Genetik bezieht sich die vollständige Penetranz auf den Anteil der Individuen, die eine bestimmte Genvariante (Allel) in sich tragen und auch ein assoziiertes Genmerkmal exprimieren, d.h. ein Merkmal immer voll ausgeprägt ist. Unvollständige Penetranz hingegen bedeutet, dass nicht alle Individuen, die eine bestimmte Genvariante erben, auch das mit diesem Gen assoziierte Merkmal aufweisen(19). D.h. ein Hund kann durchaus Träger eines Krankheitsmerkmals sein, muss jedoch nicht zwangsweise auch daran erkranken.
Im Zusammenhang mit der erblichen Epilepsie bei Hunden erschwert das Phänomen der unvollständigen Penetranz die Vorhersage und das Verständnis der Krankheit deutlich. Ein Hund kann eine Genvariante erben, die mit Epilepsie assoziiert ist, aber aufgrund einer unvollständigen Penetranz keine Anzeichen der Krankheit zeigen(20). Dies macht es äußerst schwierig, vorherzusagen, ob ein Hund allein aufgrund seiner genetischen Ausstattung eine Epilepsie entwickeln wird(21).
Die unvollständige Penetranz unterstreicht auch die Komplexität der erblichen Epilepsie als polygene Erkrankung, die von mehreren Genen und wahrscheinlichen Umweltfaktoren beeinflusst wird. Zudem unterstreicht es die Notwendigkeit laufender Forschung, um die genetischen Mechanismen, die der Krankheit zugrunde liegen, besser zu verstehen(22).
Im Falle der Großen Schweizer Sennenhunde scheint die Rasse rein statistisch im Vergleich zur allgemeinen Hundepopulation kein signifikant höheres Risiko für Epilepsie zu haben(23). Wie bei allen Rassen können jedoch individuelle genetische Faktoren und die Familienanamnese das Risiko eines Hundes beeinflussen. Daher wirkt sich die vergleichsweise geringe Populationsgröße vom Großen Schweizer Sennenhund (verglichen mit häufiger vertretener Rassen wie Golden Retriever, Labrador, Schäferhund etc.) und der damit einhergehenden geringeren genetischen Vielfalt trotz aller züchterischer Gegenmaßnahmen (z.B. Paarungplanung, Nachzuchtkontrollen, Meldung und Nachverfolgung von Epilepsiefällen etc.) negativ auf diese Statistik aus. Ein breiterer Genpool und damit eine höhere genetische Vielfalt wäre essenziell, um das Risiko der Vererbung von Epilepsie-assoziierten Genen verringern
Die hereditäre Epilepsie beim Hund ist eine komplexe Erkrankung mit einer signifikanten genetischen Komponente. Während bestimmte Rassen prädisponierter sind, kann jeder Hund an der Krankheit erkranken, auch der Große Schweizer Sennenhund. Die laufende Forschung beleuchtet weiterhin die genetischen Mechanismen, die der Krankheit zugrunde liegen, und ebnet den Weg für verbesserte diagnostische Instrumente und Behandlungen. Eine regelmäßige tierärztliche Versorgung ist entscheidend für die Behandlung der Krankheit und die Gewährleistung einer guten Lebensqualität für Hunde mit Epilepsie(24).
2. Epidemiology of Canine Epilepsy ↩
3. Canine Epilepsy: Genetic Factors ↩
4. Canine Epilepsy: Genetic Factors ↩
5. Breed Predispositions to Disease in Dogs & Cats ↩
6. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
7. Veterinary Medicine (Eleventh Edition) ↩
8. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
9. Diagnostic Imaging in Veterinary Dental Practice ↩
10. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
11. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
12. Antiepileptic Drugs and Liver Disease ↩
13. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
14. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
15. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
16. Breed Predispositions to Disease in Dogs & Cats ↩
17. Breed Predispositions to Disease in Dogs & Cats ↩
19. Genetics Home Reference: Penetrance ↩
20. Canine Epilepsy: Genetic Factors ↩
21. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
22. Canine Epilepsy: Genetic Factors ↩
23. Breed Predispositions to Disease in Dogs & Cats ↩
24. Canine Epilepsy: An Underutilized Model ↩
Noch ein eine interessante Arbeit zu diesem Thema:
https://sat.gstsvs.ch/fileadmin/datapool_upload/IgJournal/Artikel/pdf/SAT_11_2020_Sauer.pdf